Die Übernachtung unter fast freiem Himmel ist sehr romantisch. Da ich am Abend jedoch (zu)viel getrunken habe, reißt mich meine Blase gegen 4:00 Uhr leider aus meinen Träumen. Mittlerweile ist es empfindlich kalt geworden und mangels Kopfkissen liege ich recht unbequem. Daher finde ich nicht mehr in meinen Schlaf zurück und drehe und wälze mich bis 6:30 Uhr von der linken Seite auf die rechte und wieder zurück. Den Gedanken aufzustehen verwerfe ich, da ich die anderen Pilger nicht wecken möchte. Stattdessen erfreue ich mich am Sonnenaufgang, der Ausblick ist wirklich großartig!
Kurz nach 7:00 Uhr verlasse ich mein mittlerweile ziemlich ungemütlich gewordenes Lager, und von Vogelgesang begleitet beginnt kurz darauf meine heutige, sehr schöne Wanderung.
Unterwegs treffe ich des Öfteren auf kleine, steinerne Kuppelbauten am Wegesrand. Diese sind recht niedrig, haben nur einen kleinen Zugang und eine steinerne Bank in ihrem Inneren. Ich frage mich, wozu die wohl benötigt werden. Gegen 9:30 Uhr in Viana erklärt mir ein deutscher Pilger während eines Frühstücks, dass es sich bei diesen Bauten um durchaus genutzte Schäferhütten handelt. Na, da habe ich letzte Nacht aber vergleichsweise komfortabel übernachtet!
Zur Mittagszeit erreiche ich kurz vor Logroño die wohl bekannteste Stempelstelle am Jakobsweg. 20 Jahre lang saß hier Felisa Rodriguez Medel vor ihrem Haus und bot den Menschen Wasser, Feigen und ein schattiges Plätzchen an, und sie stempelte den Pilgern ihre Pässe. Als sie 2003 verstarb, erbte ihre Tochter Señora Maria Mediavilla sowohl den Stempel, als auch die damit verbundene Aufgabe. Der Stempel ist ein Geschenk eines Pilgers aus Madrid. Felisa, Higos, Agua y Amor steht darauf: Felisa, Feigen, Wasser und Liebe.
Hier verharre ich eine Weile im Schatten eines Baumes. Etwas später erreicht auch Stefan diesen Ort. Wir machen ein Gruppenfoto mit Maria und gehen dann gemeinsam nach Logroño hinein. Diese Stadt ist Hauptstadt und Beginn der autonomen Region und Weingegend La Rioja.
Vor der Herberge treffen wir viele bekannte Gesichter, darunter ist auch Peter, der wegen einiger Blasen am Fuß heute getrampt ist. Überhaupt treffe ich heute nur nette Leute, die unliebsamen habe ich wohl abgehängt (oder sie mich?). Auch Stefan kommt später hinzu. Eigentlich wollte er sich heute ein Zimmer leisten, aber wo er auch fragte, waren diese bereits belegt.
Die Herberge ist günstig, hat aber nur einen Schlafsaal mit 24 Betten. Gleich neben mir liegt ein Mann und schnarcht bereits seinen Mittagsschlaf. Diese Nacht sind wohl wieder einmal Ohrenstöpsel angesagt.
Nach einer längeren Pause mache ich mich auf den Weg in die Stadt. Im Eingangsbereich der Herberge steht - wie in fast allen Herbergen - ein Computer mit Internetzugang. Die Benutzung ist kostenlos, nur um eine kleine Spende wird gebeten. Hier repariere ich notdürftig das Gästebuch meiner Internetseite www.kuhlewind.net bzw. www.kuhl-tour.de. Diese Webpräsenz (genau, diese hier) enthält zahlreiche Fotos. Ein Arbeitskollege hatte mir eine SMS geschickt, weil er keinen Eintrag in das Gästebuch vornehmen konnte.
In der Stadt treffe ich auf Domenico und Peter. Wir setzen uns vor eine kleine Bar und jeder schmeißt mal eine Runde Bier oder Cola mit Wein. Klappernde Störche kreisen über der Stadt. Etwas später gesellt sich Stefan zu uns. Er hat ständig Hunger und führt eine Tüte voller Lebensmittel mit sich. Es ist ein erholsamer, schöner Nachmittag und wir sammeln Kraft für die morgige Etappe.
Vor dem Abendessen besichtigen wir noch zwei Kirchen.
Es ist das letzte gemeinsame Abendessen mit Domenico, da er morgen zurück nach Italien fährt. Wir genießen den lauen Sommerabend und eigentlich ist 22:00 Uhr zum Schlafen viel zu früh! Aber die Herberge schließt um diese Zeit und ich bin zudem auch sehr müde.
Dank (oder trotz) der Ohrenstöpsel falle ich in einen tiefen Schlaf, den selbst die zahlreichen Schnarcher zunächst nicht wirklich stören können.