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Tag 21
von León nach Villar de Mazarife
Freitag, 9. Mai 2008
 

Heute Morgen geht alles langsam vonstatten. Den Luxus des eigenen Zimmers genießend, schlafe ich länger als gewöhnlich, dann lade ich noch mein Handy nach, dusche nochmal und zahle zuletzt mein Zimmer, wobei es der Mann an der Rezeption ebenfalls nicht wirklich eilig hat. Danach begebe ich mich zunächst einmal in eine Bar.

jw 21 02Hier gönne ich mir den obligatorischen café con leche und ein Croissant. Diese werden hier grundsätzlich mit Messer und Gabel serviert, was nicht dumm ist, da sie mit einer recht klebrigen Zuckerschicht bestrichen sind. Neben der Kaffeemaschine türmen sich Stapel von bereits vorbereiteten Kaffeetassen mit Keks, Zucker und Löffel auf Untertassen, so dass die Bestellungen zügig abgearbeitet werden können.

jw 21 03Erst nach 9:00 Uhr breche ich endlich auf, den Regenschutz über den Rucksack gestülpt, da es ganz leicht fisselt, doch schon bald setzt sich die Sonne wieder durch, es wird heiß und Jacke und Pulli verschwinden im Rucksack.

jw 21 06Vor Oncina de la Valdoncina zeigen die bisher so zuverlässigen gelben Pfeile auf einmal in eine falsche Richtung. Sie weisen auf eine Brücke über eine Autobahn, vermutlich zu einem alternativen Weg. Das ist nicht die Strecke, die ich geplant hatte. Also beschließe ich, mich an einen Feldweg zu halten, der etwa in meine Richtung verläuft. Dieser endet jedoch abrupt. Plötzlich finde ich mich in knöcheltiefem Schlamm wieder, stapfe über sumpfige Wiesen, matschige Lehmböden und verlaufe mich hoffnungslos. Ich krame meinen winzigen Kompass hervor, und mit dessen Hilfe gelingt es mir, eine ungefähre Richtung einzuhalten. Einen geraden Weg gibt es hier nicht, eigentlich gibt es gar keinen Weg mehr. Steinhaufen versperren den Durchgang, undurchdringliches Buschwerk zwingt zu Umwegen. Aber umzukehren wäre jetzt wahrscheinlich ebenso beschwerlich wie weitergehen, also stapfe ich voran und stoße endlich auf einen völlig verrotteten Schienenstrang. Diese Schienen sind auf meiner Karteverzeichnet, und ich folge ihnen so gut es geht nach Oncina de la Valdoncina.

jw 21 05Jetzt wäre eine Bar schön, aber der Ort ist völlig ausgestorben. Ich sehe nicht einmal einen Hund. Ich finde zwar eine Bushaltestelle, aber die wirkt recht verlassen. Hier fährt - falls überhaupt - nur ganz selten ein Bus. Aber die Haltestelle ist überdacht und bietet daher ein wenig Schatten vor der jetzt sengenden Sonne, sowie eine Bank. Gleich neben der Bank gibt es sogar einen Brunnen. Das Wasser muss mühsam gepumpt werden, aber es schmeckt frisch und gibt mir überdies die Möglichkeit, meine völlig vermatschten Schuhe zu säubern, an denen der getrocknete, schwere Schlamm die Rillen der Sohle verstopft. Da ich trotz meines Verirrens kaum Zeit verloren habe, gönne ich mir hier eine etwas längere Pause.

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In Chozas de Abajo esse ich ein halbes Käsebaguette, dazu - klar - einen café con leche. Ich komme heute zwar gut voran, bin in der Regel jetzt immer etwas schneller als die im Führer angegebenen Zeiten, aber es fällt mir schwer, mich zu bewegen. Ich fühle mich mindestens so matschig wie der Weg eben war, bin ausgelaugt, habe das Gefühl, dass mir die doofe Pizza von gestern Abend schwer im Magen liegt und mein Körper verlangt nach Salat und Obst. Da ich noch einen café con leche möchte, gehe ich erneut an den Tresen - und sehe dort Tonic Water. Bei dem Anblick läuft mir das Wasser im Mund zusammen, das hat mir jetzt gefehlt. Ich trinke es gierig und es ist ab sofort neben café con leche mein Lieblingsgetränk auf dem Jakobsweg.

jw 21 11jw 21 12In Villar de Mazarife gibt es gleich drei Pilgerherbergen. Ich wähle die Herberge Jesu und gegen eine geringe Spende finde ich ein sauberes Bett und richtig heiße Duschen vor. Während ich unter eben dieser Dusche stehe, dringt die Musik der Geigenspielerin durch ein halb geöffnetes Fenster. Sie ist offenbar ebenfalls hier abgestiegen und spielt in der Tat ganz hervorragend.

jw 21 13Während ich im Bett meine wie immer schmerzenden Füße eincreme, überdenke ich den heutigen Tag. Ich habe auf dem Camino nur sechs Personen getroffen, ausschließlich Deutsche, aber sie waren diesmal nett. Auch in der Herberge befinden sind fast nur Landsleute, aber auch diese sind freundlich. Ich lege mich hin, schlafe ein und wache erst zum Abendessen wieder auf. Daher betrete ich als Letzter das naheliegende Restaurant. Und hier habe ich großes Pech: der einzige freie Platz befindet sich am Tisch von Ballermännchen. Offensichtlich wollte sich niemand zu ihm gesellen. Vor die Wahl gestellt nichts zu essen oder mich eben an diesen Tisch zu setzen wähle ich das vermeintlich kleinere Übel und nehme Platz.

An der Wand hängt ein riesiges Fernsehgerät. Dort läuft wieder der Camino-Kanal. Offenbar hat das gestrige Unwetter nicht nur León heimgesucht, sondern auch einige kleinere Dörfer der Umgebung hart getroffen. Es wird eine Ortschaft gezeigt, deren scheinbar einzige Zugangsstraße einfach weggespült wurde. Wo sich vorher Asphalt befand, ist jetzt ein breiter Spalt zu sehen. Ballermännchens Kommentar: "Da springe ich mit meinem Motorrad drüber!" Die Kamera schwenkt auf eine alte Frau, die ein Brot von einem Lastwagen entgegen nimmt, sein lachender Kommentar: "Die soll sich mal nicht so anstellen!" Die Bedienung - eine hübsche Spanierin - kommt an unseren Tisch und fragt in gebrochenem Englisch, was für einen Nachtisch wir wollen. Er zeigt auf ihren Ausschnitt und sagt "Dich!" Es reicht! Der Kerl ist einfach nur ein Arsch. Ich schlinge mein Essen herunter, werfe das Geld neben meinen Teller auf den Tisch und verlasse das Restaurant.

Auf meinem Zimmer treffe ich Monika und erzähle ihr von Ballermännchen. Sie meint, dass mir diese wiederholten Begegnungen wohl etwas sagen sollen, aber ich weiß beim besten Willen nicht, was das sein könnte.

Gemeinsam gehen wir in den Gemeinschaftsraum und setzen uns zu drei weiteren Frauen an einen Tisch. Das Gespräch kommt auch hier sofort auf Ballermännchen. Jede hatte bereits ihre Erfahrungen mit ihm gemacht. Einige kennen auch Giulia, und Gerlinde weiß zu berichten, dass Giulia vor ihm auf der Flucht ist. Seit er sie in ein 5-Sterne Hotel schleppen und - aus Kostengründen - natürlich nur ein Zimmer nehmen wollte, erkundigt sie sich immer, ob er in der Nähe ist und sucht sich gegebenfalls möglichst eine andere Unterkunft.

Nun erzählt jeder ein Erlebniss von seinem Camino. Monika's Geschichte ist die eindrucksvollste:

Es war mein erster Tag auf dem Camino, und ich wollte so gerne in San Bol übernachten. Das ist eigentlich keine richtige Herberge, nur ein Haus ohne Strom und fließendem Wasser abseits vom Wegesrand, wo Pilger übernachten können. Das einzige Wasser kommt aus einer Quelle neben dem Haus. Daher gehe ich eine Ortschaft vorher das Notwendige für den Abend einkaufen. Im Laden riet man mir von meinem Vorhaben energisch ab. Es wäre gar nicht klar, ob das Haus überhaupt offen sei und es wäre für eine allein pilgernde Frau auch nicht wirklich sicher. Allen Warnungen zum Trotz gehe ich dennoch hin, und erreiche abends, völlig erschöpft das Haus, wo ich alles wie erwartet vorfindet. Das Haus ist tatsächlich geöffnet, aber ich bin nicht alleine dort. Ein Mann renoviert dort mit wenig Eifer einige Dinge. Und offensichtlich beabsichtigt auch er, die Nacht hier zu verbringen. Jedenfalls liegt sein schmutziger Schlafsack auf einem der Betten.

Jetzt weiß ich nicht, was ich machen soll. Ich kann einerseits nicht weitergehen, es dämmert bereits und die Entfernung zum nächsten Ort übersteigt meine Kräfte, andererseits kann ich unmöglich alleine mit diesem Mann hier übernachten. Ich bete zu Gott, er möge mir jemanden schicken, und gehe zurück zum Hauptweg, um den nächsten vorbeikommenden Pilger zu bitten, mir in San Bol Gesellschaft zu leisten. Ich habe wenig Hoffnung, da es ja bereits spät ist, und kaum jemand noch unterwegs ist.

Bevor ich jedoch den Hauptweg erreiche, sehe ich zwei Pilger querfeldein auf mich zustapfen. Es sind ein Deutscher und ein Franzose. Der Franzose ist gleich bereit, hier zu übernachten, möchte aber nicht ohne seinen Freund bei mir bleiben, der jedoch keinen Schlafsack mit sich führt und eigentlich in den nächsten Ort will. Aber wir überreden ihn, die spärlichen Decken aus der Herberge zu benutzen.

Gemeinsam gehen wir zur Herberge zurück, und beschließen spontan, neben der Quelle zu übernachten. Aus gesammeltem Holz entzünden wir ein Lagerfeuer, der Franzose hat eine Flasche Wein bei sich, der mit Quellwasser verdünnt die Runde macht. Mein erster Tag endet romantisch unter freiem Himmel, ein toller Einstieg in meinen Camino.

Es war ein sehr netter Abend, und müde aber froh steige ich in meinen Schlafsack.

 
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