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Tag 26
von Villafranca del Bierzo nach La Faba
Mittwoch, 14. Mai 2008
 
 
Ich habe mich mehr schlecht als recht durch die Nacht gequält. Die Kälte im Raum führte dazu, dass ich immer wieder aufwachte, und die Schnarcher ließen mich dann nicht mehr einschlafen. Gegen 6:30 Uhr verlasse ich gerädert die Herberge.

Ich möchte jetzt doch den schweren Weg, also über die Höhen gehen, da dieser landschaftlich sehr viel verlockender ist als die alternative Landstraße. Leider verpasse ich den Abzweig, doch als ich es bemerke, bin ich schon viel zu weit gelaufen, um noch einmal umzukehren. Also wird es doch der anspruchslosere Weg.

jw 26 02Dieser ist jedoch bei weitem nicht so lebensgefährlich wie behauptet wird. Der Pilgerweg ist durch große Beton- und Kunststoffbarrieren von der Landstraße getrennt. Auch das Verkehrsaufkommen ist längst nicht so hoch, wie einem die einschlägige Literatur weismachen möchte. Das mag allerdings daran liegen, dass es eine neue Autobahn gibt, und daher wohl viele LKW's jetzt nicht mehr diese Landstraße nutzen. Aber der Weg ist etwas eintönig und durch eben diese Barrieren sehr hässlich.

In Pereje möchte ich frühstücken, aber ich finde keine Bar, die geöffnet hätte. Ein harter Keks aus dem Rucksack und ein wenig Wasser aus einem Brunnen müssen bis Trabadelo genügen. Dort angekommen studiere ich bei meinem ersten café con leche des Tages meinen Reiseführer, und beschließe, heute in Ruitelán zu übernachten. In der dortigen Herberge gibt es eine Waschmaschine nebst zugehörigem Wäschetrockner, und ich muss dringendst wieder meine Wäsche in Ordnung bringen.

jw 26 03Kurz vor 12:00 Uhr erreiche ich Ruitelán, aber die Herberge öffnet erst um 14:00 Uhr. Der Herbergsvater sitzt vor dem Haus, ich grüße ihn und erfahre, dass der Wäschetrockner kaputt sei. Spontan mache ich mich auf den Weg nach La Faba. Dabei riskiere ich jedoch, kein Bett mehr zu bekommen, da die dortige Herberge nur 30 Pilger aufnehmen kann. Seid heute befinde ich mich in der autonomen Region Galizien. Diese ist durch Landwirtschaft und Fischerei geprägt. Es regnet hier häufig, daher ist diese Landschaft mit ihren satten Grüntönen besonders reizvoll.

Die Herberge liegt auf einer Höhe von 916 m, und das letzte Stück des Weges ist daher nicht nur eine Augenweide, sondern auch sehr steil und anstrengend. Hier zeigt sich, dass ich mittlerweile recht gut zu Fuß bin, ich benötige für diesen Aufstieg deutlich weniger als die im Führer veranschlagte Zeit. Völlig außer Atem, total verschwitzt und meine schmerzenden Füße ignorierend, erreiche ich die Herberge. Etwa zehn Pilger warten hier bereits darauf, ein Bett für die Nacht zu bekommen.

jw 26 04Da die Pforten erst in gut zwei Stunden öffnen, schleppen die Wartenden eine Holzbank und einige herumstehende Stühle herbei, und wir genießen die Sonne bis zum Einlass. Ganz entspannt ist die Warterei allerdings nicht, wir müssen darauf achten, das die nach uns kommenden Pilger uns nicht um die Schlafplätze bringen. Üblicherweise stellt man seinen Rucksack oder eine Tasche an das Ende einer stetig wachsenden Rucksackschlange, und reserviert so seinen Platz für ein Bett. Die Aufnahme erfolgt dann selbstverständlich in der Reihenfolge der Rucksäcke, das funktioniert an sich hervorragend. Einige nach uns kommende Pilger stellen jedoch ganz frech ihre Rucksäcke an den Kopf dieser Schlange. Insbesondere ein Österreicher sieht überhaupt nicht ein, warum er sich hinten in die Schlange einreihen soll. Wenn wir uns, anstatt uns zwei Stunden lang ordentlich anzustellen lieber in die Sonne setzen würden, wäre das schließlich unser Problem. Doch schlussendlich ergibt er sich doch dem Gruppendruck, und stellt seinen Rucksack etwa an Position 20, in Anbetracht der 30 Betten also völlig unproblematisch. Ich besichtige kurz die zur Herberge gehörende kleine Kapelle und ein Pilgerdenkmal vor der Herberge.

jw 26 05Irgendwann öffnet die Herberge, der Eingang ist in der ersten Etage. Die Pilger stehen folglich hintereinander auf einer schmalen Steintreppe, wundersamerweise befindet sich der Österreicher jetzt wieder ganz vorne. Aber niemand mag sich mit ihm streiten. Der Herbergsvater nimmt sich für jeden Pilger reichlich Zeit, was bei den Wartenden zu Unmut führt. Doch er lässt sich davon nicht beeindrucken, begrüßt jeden Pilger einzeln, liest sich jeden Credencial gründlich durch und schwatzt mit jedem Anwesenden ein wenig. Während er dann in aller Ruhe die Stempel aufdrückt, schwatzt seine Frau munter weiter. Unmittelbar vor mir checken 3 Männer aus der Eifel ein. Er selber wurde in deren Nachbarort geboren. Sie unterhalten sich sicher 15 Minuten, bevor ich dran komme. Diese Langsamkeit hat zur Folge, das der letzte Pilger fast 2,5 Stunden warten muss, bis er an der Reihe ist und einchecken kann.
jw 26 06Gleich neben der Eingangstüre ist ein kleines Regal an der Wand angebracht. Während ich darauf warte, dass die Eifeler abgefertigt werden, sehe ich mir den dunklen Stein darauf etwas näher an. Daneben hängt ein kleines Schild, das auf die Herkunft dieses Fragmentes hinweist: Es ist ein Stück vom Kölner Dom! Ich werde in das Anmeldezimmer gerufen. Als der Herbergsvater sieht, dass ich aus Köln komme, ist er ganz aus dem Häuschen. Er wohnt seit vielen Jahren in der Innenstadt. Er möchte, dass ich ihn kurz vor dem Abendessen in seinen privaten Zimmern besuche. Ich willige ein und werde darauf zu einem Bett geführt. Hier darf man sich seine Schlafstätte nicht selber aussuchen.

Kaum dass ich mich geduscht und mein letztes frisches T-Shirt angezogen habe, herrscht auf einmal eine große Aufregung. Offensichtlich haben sich drei Pilger eingeschlichen, und ohne sich anzumelden drei Betten belegt. Alle anwesenden Pilger müssen ihren Credencial und einen Personalausweis vorzeigen, und akribisch werden die Namen mit der Anmeldeliste verglichen. Es stellt sich jedoch heraus, dass dem Herbergsvater ein Fehler unterlaufen ist. Vor lauter Freude, die drei Eifeler aus seiner Heimat zu treffen, hat er vergessen, sie in die Liste einzutragen. Drei Notbetten werden aufgestellt, und ich kann mich endlich auf meinem Bett ausstrecken.

Während ich so daliege, stelle ich erneut fest, dass ich eigentlich genug habe. Sicher, der Tag und die Wanderung waren wieder sehr schön, aber das Abhängen am Nachmittag und Abend wird allmählich lästig. Es ist wieder einmal kalt und feucht und die Privatsphäre existiert schlichtweg nicht. Zudem nervt die Rennerei um die Betten zunehmend. Wie muss das erst in der Hauptsaison sein? Naja, bislang hatte ich Glück und noch immer problemlos ein Nachtlager bekommen. Darüber hinaus sind es nur noch sechs Tage bis Santiago, plus drei oder vier Tage bis zum Kap Finisterre, die werde ich schon noch schaffen. Alternativ könnte ich auf den Weg nach Finisterre verzichten und noch einige Urlaubstage, z.B. in Santiago oder auf dem Weg dorthin einlegen. Aber ich habe das Gefühl, dass ich das später bereuen würde - Gary hatte offenbar recht, also nehme ich mir vor, den Weg bis zum Ende der Welt zu gehen, dieser Reise also einen würdigen Abschluss zu geben.

Nach einem kurzen Nickerchen gehe ich, wie versprochen, zum Herbergsvater. Er ist in Eile, daher schwatzen wir nur kurz und ich erfahre, dass Pilgerherbergen wohl durch einen Bischof abgesegnet werden müssen. Dann drückt er mir lachend eine Flasche Reisdorf-Kölsch in die Hand, steigt in sein Auto und fährt mitsamt seiner Frau fort. Ich freue mich über diesen unverhofften Gruß aus der Heimat. Leider ist das Bier ungenießbar warm, und da ich es nicht kühlen kann, schütte ich schweren Herzens die Hälfte weg, und stelle das Leergut wie abgesprochen vor die Türe des Gönners.

Nun ist es Zeit, sich um das Essen zu kümmern. Ich muss meine Wanderschuhe anziehen, und setze mich dazu auf einen kleinen Hocker. Noch während ich den ersten Schuh zubinde, erscheint der drängelnde Österreicher und blafft mich an. Ich würde auf seinem Stuhl sitzen, schließlich habe er seine Schuhe gleich daneben gestellt, um diesen zu reservieren. Ich mache ihn darauf aufmerksam, dass hier zahlreiche Schuhe stehen, immerhin befinden wir uns im Eingangsbereich, dass dies nicht sein Stuhl sei und er ihn infolgedessen auch gar nicht reservieren könne. Außerdem soll er mir den Buckel runterrutschen. Er zieht ab, schimpft jedoch lauthals über die penetrante deutsche Pest auf dem Jakobsweg.

Ich begebe mich in die Ortschaft. Diese besteht aus einer handvoll Häuser, einem winzigen Laden und einer ebenso kleinen Bar. In dieser wird aber erst in zwei Stunden ein Abendessen angeboten. Da ich heute außer den harten Keksen von heute Morgen noch nichts gegessen habe, bestelle ich mir schon mal ein kaltes Schnitzelbaguette als Vorspeise. Dabei leisten mir Maria und ihre beiden Begleiter aus Österreich Gesellschaft. Es sind noch weitere bekannte Gesichter hier, und es entsteht ein fröhlicher Dialog quer über die Tische.

Zum Abendessen setzen sich dann John und Jenny an meinen Tisch. Die beiden treffe ich jetzt regelmässig - es sind sehr angenehme Menschen. Ein redseliger Schweizer gesellt sich zu uns, und wir haben eine interessante Gesprächsrunde. Allerdings spricht der Schweizer einen derart harten Dialekt, sodass wir ihn oft nicht verstehen, was wiederum zu Verwechslungen führt, die dann unter Lachen wieder klargestellt werden. Wir sitzen recht lange beisammen, erst gegen 21:00 Uhr schlüpfe ich in meinen Schlafsack.

Draußen regnet es heftig, ich hoffe, das hört bis morgen auf! Das Geräuch des Regens und die vorherrschende Kälte lassen mich nicht einschlafen. Hinzu kommt eine peinliche, keifende, deutsche Frau, die sich darüber beschwert, dass diese zugige Herberge völlig verdreckt sei und stinken würde sie auch. Das entspricht schlichtweg nicht den Tatsachen. Ihr Mann versucht sie damit zu beruhigen, dass sie ja morgen wieder in einem Hotel übernachten würden. Sie jedoch keift weiter, bis eine andere Pilgerin - ebenfalls eine Deutsche - sie rigoros zurecht weist. Sie solle entweder sofort in ein Hotel fahren, oder endlich die Klappe halten, da hier müde Menschen liegen, die schlafen wollen.

Ich lade mir das Spiel Die Siedler auf mein Handy und spiele es noch eine Weile, bis mich der Schlaf schließlich übermannt.

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