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Tag 12
von Villambistia nach Atapuerca
Mittwoch, 30. April 2008
 

Nach einer ruhigen Nacht stehe ich gegen 7:30 Uhr aufbruchbereit im Speisesaal der Herberge. Hier erwartet mich wieder einmal ein bescheidenes Frühstück, bestehend aus zwei kleinen Muffins und dem obligatorischen café con leche. Die Wirtsleute entlassen mich mit einem herzlichen "Bon Camino" auf denselbigen.

On the road again!

jw 12 02Die Sonne hat Kraft, doch es weht ein eiskalter Wind. Und er weht stark! Meine Muschel flattert in den Böen und schlägt ständig gegen eine der zahlreichen Kunststoffschnallen meines Rucksacks. Ich unterbreche meine Wanderung und befestige sie neu. Es wäre schade, wenn sie zerbrechen oder ich sie verlieren würde. Wenn schon nicht meine Muschelfee in Santiago ankommt, dann doch wenigstens ihre Muschel!

Kurz darauf erreiche ich Villafranca-Montes de Orca. Von hier aus führt der Weg durch die Oca-Berge, in denen früher Räuber und Banditen ihr Unwesen trieben.

jw 12 03jw 12 11jw 12 09In Valbuena zwingt mich ein eher rudimentäres Bedürfnis in die nächste Bar. Eigentlich wollte ich hier nicht einkehren, aber es ist der letzte Ort vor San Juan de Ortega, meinem ersten Etappenziel. Der Kaffee ist hier jedoch so gut, dass ich noch einen zweiten bestelle. Sicherheitshalber fotografiere ich jetzt doch meine Muschel und da ich schon einmal dabei bin, mache ich auch einige Aufnahmen von meinen bisherigen Stempeln - nur für den Fall, dass Muschel und/oder der Credencial verloren gehen.

jw 12 13Ein sehr ungepflegter Spanier betritt die Bar. Der Mann ist völlig verwahrlost und obwohl ich ihn auf höchstens 30 Jahre schätze, hat er kaum noch einen Zahn in seinem Mund. Lediglich zwei schwarze Stümpfe schauen zwischen seinen Lippen hervor. Er passt sehr gut in die Umgebung, vor der Theke liegt richtig viel Müll, Papier, Krümel, gebrauchte Taschentücher und vieles mehr. Offensichtlich ist es hier üblich, seinen Abfall einfach fallen zu lassen und gefegt wird wohl höchstens einmal pro Woche. Tische und Stühle sind jedoch sauber.

jw 12 06Ganz anders der Hund des schmuddeligen Spaniers. Dieser junge und außergewöhnlich hübsche Hund ist gut gepflegt, sehr quirlig und zieht sofort alle Anwesenden in seinen Bann. Auch ich spiele eine Weile mit ihm, bevor er sich dem nächsten Gast zuwendet.

Ich trödele ziemlich herum und stelle plötzlich fest, dass es bereits 9:58 Uhr ist. Da ich noch ein gutes Stück des Caminos vor mir habe, breche ich nun zügig auf.

jw 12 17Heute komme ich wirklich gut voran. Auf einem steilen Anstieg kurz hinter der Bar überholen mich zwei Damen, die ebenfalls mit dem Hund gespielt hatten. Die beiden sind richtig fit. Während ich nach Atem ringend den Weg hinaufschnaufe, laufen die locker an mir vorbei und schnattern dabei ohne Punkt und Komma. Während des zügigen Überholmanövers berichten sie mir, dass der Pfarrer in San Juan de Ortega verstorben sei und daher die dortige Herberge zur Zeit geschlossen ist. Hoffentlich sind die dahinter liegenden Herbergen jetzt nicht überfüllt! Die beiden Frauen sind ganz nett - und schon wieder fort!

jw 12 18jw 12 14Kurz vor San Juan de Ortega höre ich jemanden meinen Namen rufen. Stefan und Gary holen mich ein. Wir freuen uns aufrichtig uns zu sehen, tauschen uns aus und gehen etwa 20 Minuten gemeinsam. Peter hat massive Fußprobleme und ist bereits mit dem Bus nach Burgos vorgefahren. Dort will er sich nach neuen Schuhen und Stöcken umsehen, um vielleicht doch noch ein paar Etappen laufen zu können. Dann machen die beiden eine Pause, ich jedoch will weitergehen, da eine Rast mich stets völlig aus dem Rhythmus bringt. Nach jeder Pause schmerzen meine Füße sehr und es dauert eine Weile, bis ich wieder das alte Tempo aufnehmen kann. Folglich trennen sich unsere Wege wieder, kaum das wir uns begegnet sind.

jw 12 20jw 12 19Ich erreiche San Juan de Ortega eine halbe Stunde vor der im Führer angegebenen Zeit. Das ist ein neuer Rekord! Der Ort wurde nach San Juan de Ortega, einem Schüler Santo Domingos benannt. Im 11. Jhd. zog er sich nach einer Wallfahrt nach Jerusalem in die Oca Berge zurück. Er gilt neben Santo Domingos als zweiter großer Förderer des Jakobsweges.

Ich beschließe ohne Pause gleich nach Atapuerca weiterzugehen. Das jedoch war keine allzu grandiose Idee, denn die letzte halbe Stunde fällt mir sehr schwer. Eine Pause wäre doch sinnvoll gewesen. Aber ich erreiche mein heutiges Tagesziel - wenngleich wieder einmal völlig erschöpft - gegen 14:00 Uhr.

Nicht ohne Stolz registriere ich, etwa vier Stunden zügig und ohne Unterbrechung gelaufen zu sein - und das mit über 16 kg Gepäck!

jw 12 23Seit den Funden der 800.000 Jahre alten Knochenreste des Homo antecessor im Jahre 1994 gehört Atapuerca zu den wichtigsten archäologischen Ausgrabungsstätten der Welt und zum UNESCO-Kulturerbe. Auch wurden in der Sierra de Atapuerca Höhlenmalereien entdeckt, sowie Fossilien entlang der Trasse einer alten Minenbahn.

Auch die heutige Herberge ist nett, sauber und einladend. Da ich der Erste auf meinem Zimmer bin, suche ich mir ein schön gelegenes Einzelbett aus. Kurz darauf habe ich Pech. Der Etagenbettspringer belegt mit Frau und seinem um zwei weitere deutsche Pilger gewachsenen Anhang die übrigen Betten. Ich kann mir nicht helfen, aber ich mag diese Gruppe nicht. Sie ist laut, unhöflich und derart spießig, dass ich mich frage, was die überhaupt bewogen hat, den Jakobsweg zu gehen. Zwischenzeitlich sind auch Stefan und Gary eingetroffen, so werde ich wenigstens zum Abendessen nette Gesellschaft haben.

Eigentlich wollte ich ein wenig dösen, aber der lärmenden Spießer wegen flüchte ich aus meinem Zimmer und besichtige im Anschluß an eine Dusche das Dorf. Das Restaurant hat eigentlich geschlossen, aber ich bekomme trotzdem einen café con leche.

jw 12 25Auf meinem Rundgang treffe ich auf die beiden Lederhüte. Es handelt sich um ein sehr nettes und aufgeschlossenes Paar aus Deutschland, die mit zwei großen, dunkelbraunen Lederhüten auf ihren Köpfen pilgern. Sie wollten auch in diesem Ort übernachten, haben aber leider kein Quartier mehr bekommen. Morgen ist der 1. Mai, Christi Himmelfahrt, und alle Unterkünfte - auch die der näheren Umgebung - sind daher belegt. Der Credencial wird in Spanien gerne zu den Bewerbungsunterlagen gelegt, daher nutzen viele Spanier Feiertage und die damit verbundenen, langen Wochenenden, den Camino stückweise zu pilgern. Da habe ich ja wieder einmal Glück gehabt. Hätte ich in San Juan de Ortega die angedachte Pause gemacht, müsste ich jetzt wahrscheinlich auch ein Bett suchen, denn in weniger als einer Stunde nach meiner Ankunft hier waren alle Unterkünfte ausgebucht.

Dieser Ort verfügt über ein winziges Museum, in dem eine sehr hilfsbereite Dame arbeitet. Diese telefoniert solange in der Gegend umher, bis sie ein Zimmer für die beiden Lederhüte ausfindig macht. Dann ruft sie ein Taxi, welches sie zu diesem Zimmer bringen soll. Während wir auf das Taxi warten, schimpfen die beiden heftig über diese Kerkeling Pilger. Zahlreiche dieser Busfahrer sind wohl heute aus dem Bus winkend an ihnen vorbeigefahren und haben ihnen nun die Betten weggeschnappt. Schließlich kommen gleich zwei Taxis und streiten sich um die Fahrt. Die Museumsdame vermittelt und das Paar fährt von dannen.

Zurück in der Herberge treffe ich erneut die Koreanerin Sue. Ich weiß nicht, ob die Frau tapfer oder fanatisch ist, aber mit ihren Füßen gehört sie definitiv in ein Krankenhaus.

Nach einer kurzen Siesta begeben sich Gary, Stefan und ich zum Abendessen. Im Restaurant treffen wir John und Jenny. Es wird ein kurzweiliger Abend mit interessanten Gesprächen. Allerdings ist er für mich bereits kurz nach acht zu Ende und müde lege ich mich ins Bett.

 
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