Diese Nacht habe ich endlich einmal wirklich gut geschlafen! Gegen 8 Uhr breche ich bei bedecktem Himmel, aber ohne Regen auf. Ich habe die Wahl zwischen zwei Wegen, die beide nach Sarria führen, ich entscheide mich für die einsamere, aber landschaftlich schönere Variante. Auch sind es heute nur 22 km, also wird es wohl geradezu ein Erholungstag!
Ich gehe etwa drei Stunden bis kurz vor Calvor. Hier steht eine namenlose Bar, daneben ein Schild, dass darüber informiert, das es in Calvor keine Bar gibt. Ich weiß nicht, ob das stimmt oder ein Verkaufstrick ist, aber sicherheitshalber trinke ich hier einen café con leche. Zeit für eine erste Rast ist es ja allemal!
Es ist ein schöner Spaziergang. Ich beabsichtige bis Sarria ohne Pause zu wandern. Leider zwingt mich ein menschliches Bedürfnis kurz darauf in die nächste Bar. Nun gut, trinke ich halt noch einen café con leche!
Mein Camino führt mich im weiteren Verlauf durch einen eindrucksvollen Eichenwald. Die frische und feuchte Waldluft duftet aromatisch und ist Balsam für die Lungen. In Sarria angekommen, ziehe ich es kurz in Erwägung, noch einen oder zwei Ortschaften weiter zu gehen, aber angesichts der Betten- und Herbergslage verwerfe ich diesen Gedanken. Ich irre etwa 30 Minuten lang durch den Ort, ohne die Herberge zu finden. Dafür treffe ich auf einige bekannte Gesichter, die vor einer Bar den Tag genießen. Sie winken mich zu sich heran und ich trinke erst mal ein großes Bier. Danach suche ich die Herberge auf. Diese ist wirklich gut, im Grunde schon ein einfaches Hotel. Nur vier Betten pro Zimer lassen auf eine ruhige Nacht hoffen. Auch gibt es hier frisches Bettzeug, ich benötige also nicht einmal meinen Schlafsack.
Ich möchte duschen gehen, bemerke aber erschrocken, dass ich mein Handtuch in der letzten Herberge vergessen habe. Also gehe ich zunächst wieder in die Stadt um eines zu kaufen. Leider haben alle Läden geschlossen. Lediglich ein Supermarkt bietet seine Waren feil. Ich kaufe mir einen abgepackten Kuchen, da ich jetzt richtig Hunger habe. An der Kasse wiegt die Kassiererin akribisch das Gewicht des Teilchens, und gibt daraufhin einen Preis ein. Die Wage zeigt 90 Gramm, also exakt das Gewicht, das in relativ großen Buchstaben auf der Verpackung gedruckt steht, ebenso wie der zugehörige Preis.
Ich suche weiter nach einem Handtuchladen und treffe die Tochter von gestern abend. Sie übernachtet heute ohne ihren Freund und ebenfalls in meiner Herberge, offensichtlich brauchen sie mal ein wenig Abstand voneinander. Ich erzähle ihr von meinem Handtuchproblem, und sie berichtet mir von einem Regal mit Handtüchern, die sie im Duschraum unserer Herberge sah. Gemeinsam gehen wir zurück, ich frage die Herbergsmutter und tatsächlich darf ich mir ein besonders flauschiges aus dem Stapel zurückgelassener und frisch gewaschener Handtücher aussuchen und behalten. Die Herbergsmutter will mir sogar gleich drei Stück überlassen, und ich habe Schwierigkeiten sie davon zu überzeugen, dass ich dafür schlichtweg keinen Platz in meinem Rucksack habe.
Nach der Dusche suche ich mir ein Restaurant, wobei ich darauf achte, eines zu finden, wo ich mein Handy laden kann. Das ist dringendst notwendig, und in der Herberge gibt es keine Steckdosen. Ich finde eines, in dem auch schon die Gang und Angela, die Geigenspielerin sitzen. Da ich einmal etwas anderes als das ständige Pilgermenu essen möchte, bestelle ich "À la carte"- und erhalte genau das Gleiche: Fleisch, Fritten und ein Ei, also die Hauptspeise des Pilgermenus, nur eben ohne Vor- und Nachspeise, dafür ist es drei Euro teurer. Es ist aber nicht schlecht, und etwas missmutig kauend schreibe ich nun in mein Tagebuch.
Ich freue mich zunehmend darauf, bald in Santiago zu sein. Zwar hatte ich heute wieder eine sehr schöne Wanderung, aber das ganze "Drumherum" habe ich allmählich satt. Der Weg wird täglich voller, der prozentuale Anteil der Deutschen steigt ständig (gut, ich bin ja auch einer davon), die Bettenproblematik verschärft sich zusehends und seit Tagen schlage ich mir eigentlich nur noch die Nachmittage um die Ohren.
Die Gang und Angela gehen schon mal in die Herberge, ich warte noch ein wenig, da mein Handy noch lädt. Ich solle einfach nachkommen. Bei zwei großen Gläsern Bier beschließe ich, morgen eine richtig lange Etappe zu gehen. Die letzten beiden Tage waren ja eher gemütlich, also sollte das machbar sein, und ich komme insgesamt einen Tag früher in Santiago an.
Schließlich mache auch ich mich auf den Weg zu meinem Bett, und treffe die Gang auf einem kleinen Platz unweit der Herberge. Sie warten dort auf Angela, die ihre Geige holen wollte. Wir unterhalten uns sicher eine Stunde lang, aber Angela kommt nicht zurück, also geht irgendwann ein jeder in seine Herberge.
Dort treffe ich eine recht betagte, aber rüstige Dame aus Heidelberg. Sie erzählt unglaublich fesselnd interessante Episoden aus ihrem Leben, teils eigene Kriegserlebnisse, teils von Schicksalen ihrer Freunde und Bekannten. Bis nach 23 Uhr hält sie die Zuhörer in ihrem Bann, und schon bald ist der Getränkeautomat leergetrunken. So lange war ich auf meinem Camino noch nicht wach, und in Anbetracht meines morgigen Vorhabens komme ich viel zu spät ins Bett.