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Tag 20
von El Burgo Ranero nach León
Donnerstag, 8. Mai 2008
 

jw 20 03Ich wache früh auf und sitze bereits um 7:00 Uhr erneut im gegenüber liegenden Restaurant bei einem café con leche. Plötzlich reißt mich eine laute Stimme aus meinen Gedanken. Ballermännchen - der ja hier wohnt - brüllt mich von seinem kleinen Balkon aus lauthals an, und möchte wissen, ob Giulia schon unterwegs sei. So gestört murmel ich nur "ist sie", und mache mich ebenfalls auf den Weg.

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Das Ziel der ersten Etappe heißt Reliegos. Bis dorthin sind es etwa 13 km durch wieder einmal endlose Felder. Trotz der beeindruckend riesigen Bewässerungsanlagen, ist der Weg dorthin nervenaufreibend monoton. Ich latsche über einen steinigen Feldweg, der parallel zu einer Landstraße verläuft. Ich zähle meine Schritte und ermittle den Abstand zwischen den Bäumchen, die am Wegesrand stehen. Exakt alle 12 Meter wurde eines angepflanzt. Der Anblick dieser sich in der Ferne verlierenden Baumreihe ist völlig demotivierend. Auf diesem Stück des Camino fängt wohl ein jeder an, über irgendetwas nachzugrübeln!

Nach 2,5 Stunden - gefühlt waren es eher 4 oder 5 Stunden - erreiche ich Reliegos und sehe in der dortigen kleinen Bar zwei Österreicherinnen, die auch die letzte Nacht in meiner Herberge verbrachten. Da an ihrem Tisch der einzige freie Platz ist, winken sie mich heran. Nach ca. 10 Minuten habe ich es geschafft, einen café con leche zu bekommen, und kaum dass ich ihn zur Hälfte getrunken habe, platzt Ballermännchen herein, drängt sich an unseren Tisch, fragt halbherzig, ob hier noch Platz wäre und setzt sich ohne eine Antwort abzuwarten, einfach dazu.

"Klar, wir wollten eh gerade weitergehen", sagt eine der Österreicherinnen. Die beiden hatten gestern ebenfalls das Glück, von Ballermännchen belästigt zu werden, und einfach keine Lust darauf, sich mit ihm abzugeben. Während ich meinen Kaffee herunterstürze und wir unsere Sachen zusammenpacken, will er wissen, wie lange ich denn schon hier sei.

"Etwa 15 Minuten", antworte ich wahrheitsgemäß.

"Jetzt gib mal nicht so an!", ist seine Reaktion, die er natürlich so laut brüllt, dass es wirklich jeder Anwesende mitbekommt. Der Typ ist schlichtweg penetrant. Im Aufbruch will er noch schnell wissen, wo denn Giulia sei. Was weiß denn ich? Also sage ich nur "Keine Ahnung, irgendwo vor uns", und gehe los. Ein lauter Ruf begleitet uns bis an die Türe: "Na, sie kann ja höchstens 1 km vor mir sein!". Toll, was der alles weiß!

Heute will ich ja mit dem Bus nach León hereinfahren, um mir die öde Latscherei durch die Vororte zu ersparen. Von Reliegos aus fährt jedoch keiner los, also gehe ich weiter nach Mansilla de las Mulas. Hier habe ich Glück, der nächste Bus fährt in 10 Minuten los. Der Busfahrer ist allerdings extrem mürrisch. Er deutet nur völlig lustlos auf ein Preisschild, sagt kein Wort und reagiert überhaupt nicht auf Fragen. Ein deutscher Pilger, der fließend Spanisch spricht, möchte wissen, ob der Bus auch in der Nähe der Kathedrale hält, aber der Fahrer knurrt nur unwillig und wendet seinen Kopf ab.

jw 20 08In León führt mich mein Weg zunächst vom Busbahnhof in die Innenstadt. Heute möchte ich mir ein Zimmer nehmen, also begebe ich mich zunächst in die örtliche Herberge, um mir den Stempel von León abzuholen. Da mein Credencial zwischenzeitlich schon recht voll ist, frage ich mit Händen und Füßen nach einem zweiten Exemplar. Leider gibt es keines, aber der sehr freundliche Herbergsvater klebt mir ein zusätztliches Faltblatt in mein jetziges hinein. Er sieht offenbar sehr schlecht, beugt sich tief über den Credencial und benötigt viel Zeit, um das Blättchen zu befestigen. Dabei verwendet er reichlich Tesafilm. Mangels Sprachkenntnis kann ich ihn leider nicht davon abhalten, ohne unhöflich zu wirken, also lasse ich es geschehen. Nach sicher 15 Minuten ist er mit dem Ergebnis zufrieden, und gibt mir freudestrahlend meinen Ausweis zurück.

Als Nächstes suche ich eine günstige Unterkunft, und finde sie in einem netten, aber düsteren Hotel. Wände, Theke, Tische, Stühle und Betten, alles ist aus dunklem, fast schwarzem Holz gefertigt. Was für ein Genuss - nach fast drei Wochen in Pilgerherbergen - ein Zimmer mit nur einem Bett für mich alleine zu haben. Ich strecke mich auf die Matratze, und schlafe erst einmal eine Stunde.

jw 20 12jw 20 15jw 20 14Danach spaziere ich ausgeruht durch León. Ich treffe viele bekannte Gesichter. Einige habe ich schon seit Tagen nicht mehr gesehen, und es ist interessant zu hören, was sie zwischenzeitlich alles erlebt haben. Die Chance auf Gesellschaft beim Abendessen ist sehr groß! Prompt läuft mir eine weitere bekannte Engländerin in gesetztem Alter über den Weg, und fragt mich, ob ich mich zum Abendessen anschließen möchte. Sie selbst habe sich um 18:30 Uhr mit weiteren Pilgern verabredet. Bis dahin ist jedoch noch reichlich Zeit. Ich genehmige mir zunächst ein Bier und besichtige danach die stilreinste frühgothische Kathedrale in Spanien, vor deren Hauptportal sich unser Treffpunkt befindet.

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jw 20 09Pünktlich findet sich die Engländerin ein. Auch die Geigenspielerin ist mit von der Partie. Sie ist heute über 40 km gelaufe, eine stolze Leistung. Außerdem gesellen sich noch ein Amerikaner und seine Tochter dazu. Er sieht recht normal aus, aber die Tochter ist ein auffallend bunter Vogel! Ganz in mittelalterlich anmutende, knallbunte Gewänder gehüllt, zieht sie die Blicke auf sich. Kopftuch, Rock, Hemd und Schürze, alles ist aus Baumwolle oder Leinen, dazu trägt sie Sandalen.

Wir gehen in ein Restaurant, aber niemand bestellt etwas zu Essen. Ich habe großen Hunger, möchte jedoch nicht als Einziger etwas zu mir nehmen. Aber eine Flasche Wein geht herum. Da ich diesen leider nicht gut vertrage, wähle ich ein Bier. Es ist eine lustige und interessante Runde. Gegen 20:00 Uhr springen aber plötzlich alle auf und zerstreuen sich.

jw 20 24Ich habe nun richtig Kohldampf, schließlich habe ich heute nur ein kleines Stückchen Kuchen zu mir genommen. Ich gehe in Richtung meines Hotels, auf der Suche nach etwas Essbarem. Plötzlich erlebe ich einen Wetterumschwung, wie ich ihn bisher noch nicht kannte. Starker Wind kommt auf und binnen zwei oder drei Minuten ziehen sich die Wolken zusammen. Wo gerade noch die Sonne schien, fahren jetzt die Autos mit Licht. Es ist nahezu so dunkel wie in der späten Dämmerung, und dann bricht das Unwetter los. Es ist, als ob ein einziger, riesiger Wassertropfen auf die Stadt fällt. Nach kürzester Zeit steht das Wasser zentimeterhoch auf der Straße. Der Verkehr kommt kurzzeitig zum Erliegen.

jw 20 25Ich rette mich vielleicht 100 m vor meinem Hotel in eine ziemlich miese Pizzeria - eigentlich nur ein Schnellimbiss. Da Rausgehen gar nicht geht, bestelle ich halt eine der Pizzen. Diese ist sehr teuer, winzig klein und hat kaum Belag. Willkommen in der Großstadt! Ich würge den trockenen Teig herunter, der Hunger treibt ihn halt rein. Nun, zusammen mit einem der Müsliriegel aus meinem Rucksack werde ich die Nacht schon überstehen.

Ebenso schnell wie das Unwetter hereinbrach, klingt es auch wieder ab. Der Wind legt sich, es wird wieder heller, aber es regnet - wenn auch ungleich weniger heftig, aber dennoch stark - weiter. Ich drücke mich entlang der Häuser in mein Zimmer, werde aber ordentlich nass.

Zurück auf meinem Zimmer - es hat die Nummer 610 und liegt zwischen den Zimmern 604 und 605, weshalb ich beim ersten Mal ein wenig suchen mußte - dusche ich und lege mich ins Bett. Ich nehme mir meinen Credencial vor, und entferne vorsichtig das vorhin so mühevoll eingeklebte Faltblatt. Das dauert etwa so lange wie das Einkleben desselbigen. Eigentlich ist es schade, aber auf dem breiten Tesafilmstreifen würde die Tinte der Stempel sicher verschmieren.

Es gibt hier sogar einen Fernseher, der Bildschirm ist jedoch recht mickrig und die Bedienung sehr abenteuerlich. Er wird mit diversen Knöpfen über meinem Bett gesteuert, aber die ganzen Schalter stiften nur Verwirrung. Irgendwie schaffe ich es, einen Kanal einzustellen, der sich offenbar intensiv mit dem Camino beschäftigt. Dort werden ständig irgendwelche Pilger interviewt und Aufnahmen vom Pilgerweg gezeigt. Diesen Kanal habe ich schon öfters in irgendwelchen Bars und auch in Herbergen gesehen. Einen Müsliriegel knabbernd schaue ich einige Minuten zu. Ich verstehe natürlich kaum etwas und schlafe daher - nach weiteren fünf Minuten Suche nach den richtigen Knöpfen um den Fernseher wieder abzustellen - alsbald ein.

 
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