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Tag 7
von Estella nach Torres del Rio
Freitag, 25. April 2008
 

jw 07 02Gegen sieben Uhr verlassen die ersten Pilger das Zimmer und somit ist auch meine Nacht zu Ende.

In der Herberge gibt es ja ein im Preis inbegriffenes Frühstück. Frühstück heißt in der Regel, dass einige trockene Kekse auf dem Tisch stehen, manchmal mit ein wenig Butter und Marmelade, dazu wird jedoch stets café con leche gereicht. Wie schon erwähnt, habe ich so früh am Morgen noch kein Bedürfnis etwas zu essen, daher genügen zwei der kleinen Kekse vollkommen, aber über den Kaffee freue ich mich.

jw 07 03jw 07 04Kurz darauf hat mich der Camino wieder und ich komme zunächst sehr gut voran. Unweit hinter dem Ort liegt das Kloster Irache mit dem allseits bekannten Weinbrunnen. Zwei Hähne ragen aus einer hübschen Metallplatte an der Klostermauer hervor. Aus dem rechten sprudelt Wasser, der linke ist mit einer Handpumpe versehen. Mit dieser muss der Wein mühselig gepumpt werden, eine Mühe, die sich aber lohnt. Nach einiger Zeit habe ich ein wenig Wein in meiner Wasserflasche, den ich mit dem kühlen Nass des rechten Hahnes verdünne. Es handelt sich um guten Tafelwein und ist eine nette Geste des Klosters. Da offensichtlich einige Leute diese schöne Idee missbrauchen und literweise den Wein in Kanister abfüllen wollen, sind Kameras installiert. Es gibt auch eine Web-Cam unter http://www.bodegasirache.es, die zum Pilgerwatching einlädt. Da ich recht früh unterwegs bin, sind nur wenige Pilger hier, dennoch braucht es eine Weile, bis ich an der Reihe bin. Etwas später wird man wohl erheblich mehr Geduld aufbringen müssen, um an den Wein zu gelangen.

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jw 07 14Gegen 9:30 Uhr erreiche ich Azqueta und genehmige mir dort den obligatorischen café con leche. Einige Pilger holen sich einen Stempel, ich lasse mich anstecken und bekomme meinen ersten Zwischenstempel in meinen Credencial gedrückt. Da ich jedoch nicht den Pilgerstempelsammelehrgeiz vieler Pilger teile, ist er eine Ausnahme, führt jedoch zu einem Plausch mit der Wirtin und einigen anderen Pilgern.

Schließlich mache ich mich zur nächsten Ortschaft Los Arcos auf. Auf dem Weg dorthin fällt mir auf, dass ich den Kaffee nicht bezahlt habe, das ist durch das Schwatzen völlig in Vergessenheit geraten. Umkehren ist jedoch unmöglich, da ich schon viel zu weit entfernt bin.

jw 07 08Los Arcos erreicht man über sehr steinige Feldwege. Die Sonne brennt unbarmherzig und diese Etappe entwickelt sich zur bisher größten mentalen Herausforderung. Mühsam quäle ich mich durch die brütende Hitze. jw 07 17Hinzu kommt, dass Los Arcos hinter einer Wegbiegung liegt. Man bekommt den Ort erst wenige Minuten vor der Ankunft zu Gesicht. Dieser Umstand zermürbt, da man sich, sozusagen ohne ein Ziel vor Augen zu haben, über endlos gerade Wege schleppt.

jw 07 13Während ich so über die Feldwege trotte, habe ich eine schöne Begegnung mit einem Singvogel. Er sitzt in einem Busch und pfeift sein Lied. Kaum nähere ich mich dem Busch, fliegt er ein Gestrüpp weiter. Dieses Spiel wiederholen wir mehrere Sträucher lang, was bei meinem derzeitigen Tempo allerdings recht lange dauert.

jw 07 15Kurz vor Los Arcos sitzt eine Asiatin am Wegesrand. Sie hat völlig wunde Füße, Tränen in den Augen und es geht ihr ganz offensichtlich wesentlich schlechter als mir. Ich frage, ob ich helfen kann, sie schüttelt nur den Kopf, sagt aber kein Wort. Offensichtlich will sie in Ruhe gelassen werden, also gehe ich weiter.

jw 07 16In Los Arcos schleppe ich mich völlig ermattet in die österreichische Herberge. Ich habe das Gefühl, ich stehe kurz vor einem Hitzschlag. Dort angekommen, setze ich mich in den Schatten und bleibe 45 Minuten praktisch regungslos sitzen. Es gibt hier eine Kanne mit kostenlosem Kaffee. Dazu esse ich ein kleines Schinkenbrötchen für wenige Cent. Unter einem Hahn für das Trinkwasser befindet sich ein kleines Auffangbecken, in dem sich einige Goldfische tummeln.

Ich stehe vor der Wahl hier zu bleiben oder zu meinem eigentlichen Tagesziel weiter zu gehen. Der Entschluß mich aufzurappeln fällt mir schwer, das Refugium ist nett und meine Füße schreien nach einer Auszeit, aber mir gehen die deutschen Pilger hier mit ihren dummen Sprüchen dermaßen auf den Keks, dass ich mir noch einen solchen gönne und mich so gestärkt wieder auf den Weg mache.

Einige Schritte weiter finde ich einen kleinen Laden. Hier kaufe ich eine der größten Tomaten, die ich jemals gesehen habe. Mit dieser Frucht im Gepäck suche ich eine schattige Bank. Um weiterzugehen ist es noch viel zu heiß, also ist eine weitere Siesta angesagt.

Auf dem kleinen Dorfplatz treffe ich auf Domenico und Stefan. In ihrer Gesellschaft befindet sich heute Marlene, eine Spanierin, die ich schon einige Male von weitem gesehen habe. Sie pilgert diesmal nur zehn Tage, möchte den Weg aber im Herbst ganz gehen. Ihren ersten Versuch musste sie abbrechen, da ihr Vater erkrankte. Da ich wohl völlig fertig aussehe, bietet sie mir ihren Platz auf der einzigen Bank an. Das geht nun gar nicht! Ich lehne ab, sie besteht darauf. Am Ende sitzen wir alle neben der leeren Bank auf dem Boden und führen eine fröhliche Unterhaltung.

jw 07 19Die Siesta ist kurzweilig und zieht sich in die Länge, doch irgendwann müssen wir dann doch aufbrechen. Alle haben das gleiche Ziel, Torres el Rio, aber ein völlig unterschiedliches Pilgertempo. Unsere Wege trennen sich folglich und ich schleiche meinem heutigen Etappenziel entgegen.

jw 07 20Meine Hoffnung, dass es sich nachmittags etwas abkühlt, erfüllt sich nicht, aber ich erreiche nach mehr als zwei wirklich qualvollen Stunden Torres el Rio. Hier gibt es zwei Herbergen, von denen die erste geschlossen hat. Der kleine Aufstieg zur Casa Mari, der zweiten, recht kleinen Herberge gibt mir endgültig den Rest.

Dort angekommen teilt mir die Herbergsmutter mit, dass alle Betten belegt sind. Aber sie kennt eine Frau im Ort, die ein Zimmer für zwanzig Euro vermietet. Sie ruft an - leider ist das Zimmer auch schon vergeben. Die Wirtin bedeutet mir, dass ich zur nächsten Herberge - zwei Orte weiter - müsse, ob ein Bus dorthin fährt, ist unklar. Ich kann keinesfalls noch weitergehen. Ein Gefühl der Unsicherheit, Einsamkeit und ein leichter Anflug von Panik kommt auf, als ein Italiener aus dem Haus tritt. Ihn kenne ich vom Camino.

jw 07 21Er begrüßt mich und sagt dann zur Wirtin gewand nur das eine Wort: terraza. Die Wirtin nickt, ja, auf der Terrasse sei natürlich noch Platz. Gott sei Dank, warum nicht gleich so? Ich werde also diese Nacht auf der halb überdachten Terrasse - also praktisch unter freiem Himmel - meine neue Isomatte einweihen. Das wird sicher eine sehr romantische Nacht werden, und ich freue mich darauf.

jw 07 22Die Herberge ist schön, verfügt über tolle, heiße Duschen, sowie nette Zimmer - leider nicht für mich. Domenico und Peter sind auch schon hier, Stefan kommt etwas später hinzu, bekommt aber auch noch einen Terrassenplatz zugewiesen. Marlene wollte eigentlich auch in dieser Herberge übernachten, ist aber offensichtlich woanders gestrandet. Ich erfahre, dass es hier dicke Matten gibt, also benötige ich meine dünne Isomatte gar nicht. Allerdings dürfen die erst später ausgebreitet werden, da die Terrasse noch anderweitig genutzt wird. Folglich haben wir Terrassenbewohner keinen vernünftigen Platz, unsere Rucksäcke stehen jedermann im Weg und wir sitzen gleich daneben auf unbequemen Stühlen. Aber wir haben einen grandiosen Ausblick auf das Dorf und die Kirche und so creme ich mir vor einem sehr schönen Panorama meine schmerzenden Füße.

jw 07 23Kurz vor dem Abendessen erscheint doch noch Marlene und bereitet ihr Lager auf dem Boden des kleinen Gemeinschaftsraumes. Sie ist völlig gelassen, macht jeden Tag mehrere Stunden Siesta, reist mit nur sechs Kilogramm Gepäck und muss daher jeden Abend waschen.

jw 07 26Laut Führer gibt es in diesem Ort kein Restaurant, aber dem ist nicht so. Eines hat geöffnet und bietet auch ein leckeres Menu an. Folglich treffen sich hier alle Pilger und es ist wieder einmal erstaunlich, was es für zehn Euro alles gibt: Nudelsalat, jw 07 28Rindfleisch mit Fritten und Schokoladenkuchen, dazu mehrere Flaschen Wein und Wasser. Das alles steht auf einem langen Tisch, um den herum alle Pilger Platz nehmen. In unserer Ecke sitzen Laura und Piedro aus Italien. Leider sind sie der englischen Sprache nicht mächtig, aber die Unterhaltung mit Händen und Füßen ist sehr lustig. Hier erfahre ich auch, dass eine junge Ungarin von einer Zecke gebissen wurde und mit Verdacht auf Borreliose in ein Krankenhaus gebracht wurde. Es könnte sich um meine Muschelfee handeln.

jw 07 29jw 07 30Der wirklich schöne Abend klingt mit einem gemeinsamen Spaziergang zur Herberge sowie einem Gruppenfoto in einem Verkehrsspiegel aus und entschädigt für die Strapazen des heutigen Tages.

 In der Herberge angekommen, legen wir uns gleich hin. Im Innenhof sitzen noch einige Pilger. Ihre lautstarke Unterhaltung schallt ungehindert auf die darüberliegende Terrasse und hindert uns somit am Einschlafen. Schließlich reißt Peter der Geduldsfaden und er bittet sie nachdrücklich, jetzt leise zu sein. Sie murren, gehen dann aber auch ins Bett. Am darauffolgenden Morgen entschuldigen sich alle gegenseitig.

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