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Tag 32
von Lavacolla nach Santiago de Compostela
Dienstag, 20. Mai 2008
 

Um 7:00 Uhr wache ich auf. Ich kann es selber kaum glauben, aber ich bin richtig fit. Meine Beine fühlen sich zwar etwas müde an, aber ich verspüre das erste Mal auf meiner Wanderung keine Schmerzen!

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jw 32 02Nach einem eiligen café con leche in der Hotelbar breche ich auf. Am Ortsausgang erwartet mich ein kleiner, wirklich süßer Hund. Er ist noch ganz jung und offensichtlich ausgesetzt. Er begleitet mich, ich versuche ihn zunächst zu verscheuchen, aber er bleibt mir auf den Fersen. Nach etwa drei Kilometern kommt er auf seinen kurzen Beinchen nicht mehr richtig mit. Ich verlangsame mein Tempo. Es hilft nichts, ich habe ihn richtig ins Herz geschlossen! Ein Name ist schnell gefunden, ich nenne ihn Camino, nicht sonderlich originell, aber irgendwie passend! Falls er mich bis nach Santiago begleitet, werde ich ihn mit nach Hause nehmen. Ich wollte ja schon immer einen Hund haben, auch wenn das Probleme z.B. im Urlaub mit sich bringt.

jw 32 03Ich gebe ihm etwas Trinkwasser aus der Flasche, das er gierig aus meiner Hand säuft. Bei nächster Gelegenheit werde ich etwas zu fressen für ihn kaufen, doch was frisst so ein Tier? Auch werde ich Elke anrufen, dass sie nicht mit dem Flieger, sondern mit dem Wagen kommen soll. Dann können wir ihn im Kofferraum nach Deutschland schmuggeln. Dort dann erst mal zum Tierarzt, ihn impfen lassen, anmelden und was weiß ich noch alles.

jw 32 05Kurz vor der Stadtgrenze rufen mich meine Eltern an, sie wollen wissen, ob ich schon in Santiago bin. Während des kurzen Gesprächs kommen mir zwei Franzosen entgegen. Camino schließt sich ihnen an, und läuft in die Richtung zurück, aus der wir kamen. Ich bin wirklich traurig, hatte ich mich doch an den Gedanken einen Hund vom Camino mitzubringen mittlerweile richtig gewöhnt. Andererseits bin ich auch etwas erleichtert, denn ein Hund bedeutet eben auch viele Umstände. Und Elke kann jetzt doch den Flieger nehmen.

Noch am Stadtrand treffe ich John und Jenny - großes Hallo -, und wir fotografieren uns gegenseitig.

 

Exakt um 10:01 Uhr erreiche ich die Kathedrale in Santiago de Compostela!

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Es ist ein sehr ergreifender Moment. Nach 31 Tagen teils sehr beschwerlicher Wanderung erreiche ich mein Ziel. Eine Weile stehe ich einfach da, und lasse die Kathedrale auf mich wirken. Auf den Stufen sehe ich John und Jenny. Auch Maria und Sonja, jeweils mit Anhang, winken mir zu. Ich rufe zunächst einmal Elke an.

Dann gehe auch ich über die Stufen der Kathedrale. Oben angelangt treffe ich Angela, die Geigenspielerin. Sie lehnt mit tränenüberströmten Gesicht, aber lachend gegen ein steinernes Geländer. Sie ist nicht die Einzige mit feuchten Augen, um mich herum sehe ich viele Freudentränen und lachende Gesichter.

Schlagartig wird mir bewußt, dass ich in der Tat kein echter Pilger, sondern wirklich nur ein Wanderer bin! Natürlich bin ich auch ergriffen, aber nicht aus persönlichen oder religiösen Motiven. Die Kathedrale ist für mich nur ein sehenswertes Bauwerk, nicht der Grund meiner Wanderung. Sie symbolisiert für mich nicht die Lösung eines Problems oder eine Erkenntnis, sondern lediglich das erste Ziel meiner Reise. Das hätte ebensogut auch etwas anderes sein können, z.B. ein Berg oder eine beliebige Stadt. Und das eigentliche Ziel heißt ja nun auch Finisterre.

jw 32 24ajw 32 23Mit diesen Gedanken gehe ich ins Pilgerbüro. Tatsächlich sind erst wenige Pilger hier, und ich erhalte binnen weniger Minuten die Compostela, meine Pilgerurkunde. Hernach nehme ich mir ein Zimmer im Kloster San Martin Pinario, eine wie ich finde würdige Unterkunft an diesem Etappenziel!

jw 32 11ajw 32 13Der Besuch der Messe ist natürlich auch für mich ein Muss! Die Kirche ist zum Bersten gefüllt. Ich finde nur Platz innerhalb eines mit roten Bändern abgesperrten, etwas erhöhten Areals. Einige Pilger folgen mir dorthin. Dass wir dort Platz nehmen, scheint jedoch niemanden zu stören, und die leicht erhöhte Position bietet einen guten Überblick. Ich erspähe die Bekannten von eben, dazu viele andere Gesichter, Personen, die ich teils seit zwei oder drei Wochen nicht mehr gesehen habe, und deren Namen ich noch nie wußte oder wieder vergessen habe. Viele von ihnen sind in Gedanken vertieft. Zum letzten Mal sehe ich auch Ballermännchen, aber er sitzt weit genug entfernt.

jw 32 16jw 32 18Im Anschluss an die Messe besuche ich das Grab, in dem der Überlieferung nach die sterblichen Übereste des heiligen Jakobus aufbewahrt werden. Fast alle Pilger umarmen die zugehörige Jakobus-Statue, ich begnüge mich damit, sie flüchtig zu berühren.

jw 32 25Als Nächstes steht ein Stadtbummel auf dem Programm. In einem Restaurant treffe ich erneut John und Jenny, und wir trinken gemeinsam ein Glas Bier. Danach gönne ich mir einen großen Eisbecher, kurz darauf gibt es Döner und ein weiteres Bier. Während ich mich so durch Santiago mampfe, simse ich mit Peter. Dieser ist gerade an der Stadtgrenze von Santiago, ich habe ihn also überholt. Wir verabreden uns zum Abendessen, als Treffpunkt vereinbaren wir den Platz vor der Kathedrale.

Nun suche ich ein Mitbringsel für meine Eltern, aber irgendwie ist fast alles hier nur übelster Touristenkitsch. Alles was nicht grenzenlos geschmacklos ist, kostet gleich Unsummen, bleibt aber immer noch kitschig. Nachdem ich im sicher zwanzigsten Laden schon wieder den gleichen Trödel vorfinde, gebe ich es auf.

Bis zum Abendessen ist noch reichlich Zeit, ich gehe ins Kloster und ruhe ein wenig.

Die abendliche Begrüßung auf dem Kathedralsplatz ist sehr herzlich. Peter hat eine ganze Reihe Leute im Schlepptau: Das italienische Pärchen, Monika und ihren Freund, eine Australierin und einen Iren. Monika wird am Freitag hier in Santiago heiraten. Ort des Geschehens ist eine kleine Kirche unweit der Kathedrale, die wir jetzt gemeinsam besichtigen. Sie ging den Camino, um sich darüber klar zu werden, ob sie die Heirat wirklich möchte. Nun, sie will!

Das Abendessen ist schlichtweg schön. Jeder bestellt etwas zu essen, und dann probiert jeder bei jedem. Dazu spendiert Peter zwei Flaschen Sekt. Es ist ein lustiger Abend, aber es werden auch besinnliche Gespräche geführt. Viel zu schnell ist es 23:00 Uhr, und ich eile zurück ins Kloster, da ich nicht weiß, wann dieses schließt. Der Pförtner ist jedoch noch in seinem Häuschen, scheint aber in der Tat gerade Feierabend zu machen.

Im Bett überlege ich, ob ich morgen schon weiter gehen soll, oder vielleicht noch einen Tag in Santiago bleibe. Wieder wird mir bewusst, dass nicht Santiago, sondern die Wanderung als solche das Ziel dieses kleinen Ausstiegs ist. Folglich werde ich morgen früh weiter gehen. Zurück nach Santiago werde ich in einigen Tagen noch einmal mit Elke kommen.

 
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